Übersicht
Die Warenbeschaffung ist eine der wichtigsten Aufgaben im Einzelhandel. Nur wenn die richtigen Waren zur richtigen Zeit in der richtigen Menge und zum richtigen Preis verfügbar sind, kann ein Handelsunternehmen erfolgreich sein. In diesem Lernfeld lernst du alle wichtigen Aspekte der Beschaffung kennen.
🎯 Lernziele
- Beschaffungsprozesse verstehen und organisieren
- Kaufverträge mit Lieferanten abschließen
- Verschiedene Kaufvertragsarten unterscheiden
- Sortimentsware optimal bestellen
- Neulistungen durchführen und Lieferanten bewerten
- Planungsinstrumente für den Wareneinkauf anwenden
1. Beschaffungsprozesse
1.1 Grundfragen der Warenbeschaffung
Bevor die Beschaffung beginnt, müssen grundlegende Fragen beantwortet werden:
❓ Die 6 W-Fragen der Beschaffung
- Was soll beschafft werden? → Artikel, Qualität, Eigenschaften
- Wie viel soll beschafft werden? → Menge, Stückzahl
- Wann soll beschafft werden? → Lieferzeitpunkt, Dringlichkeit
- Wo soll beschafft werden? → Lieferantenauswahl, regional/international
- Wie soll beschafft werden? → Bestellweg, Vertragsart
- Zu welchem Preis soll beschafft werden? → Budget, Konditionen
1.1.1 Art und Weise der Warenbeschaffung
Es gibt verschiedene Beschaffungswege:
🏭 Direktbezug vom Hersteller
Einkauf direkt beim Produzenten. Vorteil: Günstigere Preise. Nachteil: Große Mengen erforderlich.
🏢 Großhandelsbezug
Einkauf beim Großhändler. Vorteil: Kleinere Mengen möglich, schnelle Lieferung. Nachteil: Höhere Preise.
🤝 Verbundgruppen
Zusammenschluss mehrerer Einzelhändler. Vorteil: Bessere Konditionen durch Mengenbündelung.
🌐 Online-Beschaffung
Bestellung über B2B-Plattformen. Vorteil: Zeitersparnis, Preisvergleich. Nachteil: Keine persönliche Beratung.
1.1.2 Entscheidungen über Waren
Bei der Warenbeschaffung müssen verschiedene Entscheidungen getroffen werden:
- Qualitätsentscheidung: Welche Qualitätsstufe wird benötigt?
- Sortimentsentscheidung: Breite oder Tiefe des Sortiments?
- Markenentscheidung: Markenartikel oder No-Name-Produkte?
- Mengenstrategie: Just-in-Time oder Lagerhaltung?
- Lieferantenentscheidung: Wenige oder viele Lieferanten?
1.1.3 Der Einzelhandel als "Gate-Keeper"
Der Einzelhandel fungiert als "Torwächter" (Gate-Keeper) zwischen Herstellern und Verbrauchern:
🚪 Funktion als Gate-Keeper
Der Einzelhandel entscheidet, welche Produkte der Endverbraucher überhaupt kaufen kann:
- Selektionsfunktion: Auswahl aus dem riesigen Produktangebot
- Kontrollfunktion: Prüfung von Qualität und Eignung
- Filterfunktion: Nur passende Produkte für die Zielgruppe
- Marktmacht: Große Handelsketten bestimmen, was erfolgreich wird
- Verantwortung: Schutz der Verbraucher vor minderwertigen Produkten
1.2 Kooperationsformen im Einkauf
Einzelhändler schließen sich oft zusammen, um bessere Einkaufskonditionen zu erzielen:
Wichtige Kooperationsformen:
🔗 Einkaufsgenossenschaften
Zusammenschluss selbstständiger Händler zum gemeinsamen Einkauf. Beispiel: REWE, EDEKA
🏪 Freiwillige Ketten
Großhändler gründet Einkaufsorganisation für angeschlossene Einzelhändler. Beispiel: SPAR
🎯 Verbundgruppen
Kooperation mit gemeinsamer Marke und Marketing. Beispiel: Intersport, expert
🤝 Einkaufsgemeinschaften
Lockere Zusammenarbeit ohne feste Struktur für bestimmte Einkaufsaktionen
1.2.1 Leistungen der Verbundgruppen für ihre Mitglieder
Verbundgruppen bieten ihren Mitgliedern zahlreiche Vorteile:
- Günstigere Einkaufspreise durch Mengenbündelung
- Gemeinsame Werbung und Marketingkampagnen
- Weiterbildungsangebote für Mitarbeiter
- Betriebswirtschaftliche Beratung
- Moderne IT-Systeme und Warenwirtschaftssoftware
- Sortimentsempfehlungen und Marktforschung
- Logistikdienstleistungen
1.2.2 Voraussetzungen für die Mitgliedschaft
Um Mitglied einer Verbundgruppe zu werden, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein:
- Mindestumsatz oder Mindestabnahmemenge
- Zahlung von Mitgliedsbeiträgen
- Führung der gemeinsamen Marke/des Logos
- Teilnahme an gemeinsamen Werbeaktionen
- Einhaltung von Qualitätsstandards
- Nutzung der vorgegebenen Warenwirtschaftssysteme
1.2.3 Kooperationsformen
Übersicht über verschiedene Kooperationsmodelle:
| Kooperationsform |
Selbstständigkeit |
Bindungsintensität |
Beispiel |
| Einkaufsgenossenschaft |
Hoch |
Mittel |
EDEKA, REWE |
| Freiwillige Kette |
Mittel |
Mittel-Hoch |
SPAR |
| Verbundgruppe |
Hoch |
Mittel |
Intersport, expert |
| Franchising |
Gering |
Sehr hoch |
McDonald's, Fressnapf |
2. Kaufverträge mit Lieferanten
2.1 Anfrage
Die Anfrage ist der erste Schritt zur Beschaffung. Der Einzelhändler erkundigt sich bei potenziellen Lieferanten nach Waren, Preisen und Konditionen.
📋 Bestandteile einer Anfrage
- Artikelbezeichnung: Genaue Beschreibung der gewünschten Ware
- Menge: Benötigte Stückzahl oder Einheiten
- Qualitätsanforderungen: Spezifikationen, Normen, Standards
- Liefertermin: Gewünschter Zeitpunkt der Lieferung
- Lieferbedingungen: Ab Werk, frei Haus, etc.
- Zahlungsbedingungen: Gewünschte Zahlungsziele und Skonti
Arten von Anfragen:
- Unverbindliche Anfrage: Reine Informationseinholung ohne Kaufverpflichtung
- Verbindliche Anfrage: Bereitschaft zum Kauf bei passenden Konditionen
- Ausschreibung: Öffentliche Aufforderung zur Angebotsabgabe (vor allem bei öffentlichen Auftraggebern)
2.2 Angebot
Das Angebot ist die Antwort des Lieferanten auf die Anfrage. Es enthält alle wichtigen Informationen über Ware, Preis und Konditionen.
Bestandteile eines Angebots:
- Angebotsinhalt: Genaue Warenbeschreibung
- Preis: Verkaufspreis pro Einheit
- Lieferzeit: Zeitraum bis zur Lieferung
- Lieferbedingungen: Wer trägt Transportkosten?
- Zahlungsbedingungen: Zahlungsziel, Skonto
- Verpackung: Art und Kosten der Verpackung
- Erfüllungsort: Wo wird die Ware übergeben?
- Angebotsbindungsfrist: Wie lange ist das Angebot gültig?
⚖️ Rechtliche Bedeutung
Ein Angebot ist rechtlich bindend, wenn es angenommen wird. Der Lieferant kann es während der Angebotsfrist nicht zurückziehen. Wichtige Unterscheidung:
- Verbindliches Angebot: Lieferant ist bei Annahme gebunden
- Unverbindliches Angebot ("freibleibend"): Lieferant behält sich vor, das Angebot nicht zu erfüllen
Prüfung und Vergleich von Angeboten:
Vor der Bestellung sollten mehrere Angebote eingeholt und verglichen werden:
| Kriterium |
Beschreibung |
Beispiel |
| Preis |
Einkaufspreis pro Einheit |
19,90 € / Stück |
| Qualität |
Produkteigenschaften, Haltbarkeit |
Premium-Qualität |
| Lieferzeit |
Zeitraum bis zur Verfügbarkeit |
5 Werktage |
| Zahlungsbedingungen |
Zahlungsziel, Skonto |
30 Tage, 2% Skonto bei 10 Tagen |
| Lieferkosten |
Zusätzliche Transportkosten |
Frei Haus ab 500 € |
| Mindestbestellmenge |
Kleinste abnehmbare Menge |
50 Stück |
2.3 Bestellung und Auftragsbestätigung
Die Bestellung:
Mit der Bestellung nimmt der Einzelhändler das Angebot an und es kommt ein Kaufvertrag zustande.
📝 Inhalt einer Bestellung
- Bestellnummer (eindeutige Identifikation)
- Artikelbezeichnung und Artikelnummer
- Bestellmenge
- Vereinbarter Preis
- Gewünschter Liefertermin
- Lieferanschrift
- Zahlungsbedingungen
- Bezugnahme auf das Angebot
Die Auftragsbestätigung:
Der Lieferant bestätigt den Eingang der Bestellung und die Annahme des Auftrags.
Wichtig: Prüfen Sie die Auftragsbestätigung genau!
- Stimmen alle Angaben mit der Bestellung überein?
- Weicht der Liefertermin ab?
- Sind Preis und Konditionen korrekt?
- Bei Abweichungen: Sofort beim Lieferanten reklamieren!
Rechtliche Folgen:
- Stimmt die Auftragsbestätigung mit der Bestellung überein → Kaufvertrag ist perfekt
- Weicht die Auftragsbestätigung ab → Gilt als neues Angebot, das angenommen werden muss
- Keine Reaktion auf Abweichungen → Kann als stillschweigende Zustimmung gewertet werden
3. Kaufvertragsarten
3.1 Arten des Kaufs nach Vertragspartnern und Zweck des Vertrages
🏪 Handelskauf
Beide Vertragspartner sind Kaufleute. Es gelten die Vorschriften des HGB (Handelsgesetzbuch).
👤 Verbrauchsgüterkauf
Verkäufer ist Unternehmer, Käufer ist Verbraucher. Verbraucher haben besondere Schutzrechte.
💼 BGB-Kauf
Kaufvertrag zwischen Privatpersonen. Es gilt nur das BGB (Bürgerliches Gesetzbuch).
3.2 Weitere Arten von Kaufverträgen und ihre Besonderheiten
Nach dem Zeitpunkt der Erfüllung:
📅 Barkauf
Ware und Bezahlung werden sofort ausgetauscht. "Zug um Zug" – typisch im Einzelhandel.
⏰ Kauf auf Ziel
Die Bezahlung erfolgt später (Zahlungsziel). Der Käufer erhält einen Kredit vom Verkäufer.
- Vorteil für Käufer: Liquidität bleibt erhalten
- Vorteil für Verkäufer: Kundenbindung, oft höherer Umsatz
- Risiko: Zahlungsausfall
Nach der Art der Leistung:
📦 Stückkauf
Kauf einzelner, genau bestimmter Waren (z.B. ein gebrauchtes Auto, ein Kunstwerk)
🏭 Gattungskauf
Kauf vertretbarer Waren (z.B. 100 kg Mehl, 50 Stück T-Shirts Größe M)
🔮 Kauf nach Probe
Ware muss der vorher gezeigten Probe entsprechen (z.B. Stoffmuster)
👀 Kauf nach Besichtigung
Käufer hat Ware vorher gesehen und akzeptiert den Zustand "wie gesehen"
Besondere Kaufarten:
🔄 Kommissionskauf
Ein Kommissionär kauft oder verkauft im eigenen Namen, aber auf Rechnung eines anderen (des Kommittenten).
🚚 Lieferungskauf
Ware wird über einen längeren Zeitraum in Teilmengen geliefert (z.B. wöchentliche Lieferung von Backwaren).
📋 Sukzessivlieferungsvertrag
Rahmenvertrag mit mehreren Einzelabrufen. Menge und Zeitpunkt werden später konkretisiert.
4. Bestellung von Sortimentsware
4.1 Bestellzeitplanung
Die richtige Bestellzeitplanung ist entscheidend, um Lieferengpässe und Überbestände zu vermeiden:
⏱️ Meldebestand
Der Meldebestand ist die Lagermenge, bei deren Erreichen eine neue Bestellung ausgelöst werden muss.
Formel:
Meldebestand = (Durchschnittlicher Tagesverbrauch × Lieferzeit in Tagen) + Sicherheitsbestand
Beispiel:
- Durchschnittlicher Tagesverbrauch: 10 Stück
- Lieferzeit: 5 Tage
- Sicherheitsbestand: 20 Stück
- Meldebestand = (10 × 5) + 20 = 70 Stück
Bestellsysteme:
📊 Bestellpunktsystem
Bestellung erfolgt, wenn der Meldebestand erreicht ist. Die Bestellmenge ist variabel.
📅 Bestellrhythmussystem
Bestellung erfolgt in festen Zeitabständen (z.B. jeden Montag). Die Bestellmenge ist variabel.
🔄 Just-in-Time
Ware wird erst bestellt, wenn sie benötigt wird. Minimiert Lagerkosten, aber erhöht Lieferrisiko.
💾 Höchstbestandssystem
Lager wird immer auf einen definierten Höchstbestand aufgefüllt.
4.2 Bestellmengenplanung
Wie viel soll bestellt werden? Diese Frage beeinflusst Lagerkosten und Lieferkosten erheblich.
📦 Optimale Bestellmenge
Die optimale Bestellmenge minimiert die Gesamtkosten aus Bestell- und Lagerkosten.
Andler-Formel (vereinfacht):
Optimale Bestellmenge = √((200 × Jahresbedarf × Bestellkosten) / (Einstandspreis × Lagerkostensatz))
Einflussfaktoren:
- Bestellkosten: Kosten pro Bestellvorgang (Personal, Verwaltung)
- Lagerkosten: Kosten für Lagerhaltung (Miete, Personal, Versicherung)
- Kapitalbindungskosten: Zinsen für das im Lager gebundene Kapital
- Mindestbestellmengen: Vorgaben der Lieferanten
- Rabattstaffeln: Mengenrabatte bei größeren Bestellungen
Zielkonflikte bei der Bestellmengenplanung:
| Große Bestellmengen |
Kleine Bestellmengen |
| ✅ Weniger Bestellvorgänge |
✅ Geringere Lagerkosten |
| ✅ Mengenrabatte möglich |
✅ Weniger Kapitalbindung |
| ✅ Geringere Lieferkosten pro Einheit |
✅ Flexibler bei Sortimentsänderungen |
| ❌ Höhere Lagerkosten |
❌ Häufigere Bestellvorgänge |
| ❌ Hohe Kapitalbindung |
❌ Höhere Lieferkosten |
| ❌ Risiko von Verderb/Veralterung |
❌ Gefahr von Lieferengpässen |
5. Bestellung nicht im Sortiment geführter Ware (Neulistung)
5.1 Beschaffungsmarketing und quantitativer Angebotsvergleich
Bevor ein neues Produkt ins Sortiment aufgenommen wird, muss eine gründliche Prüfung erfolgen:
🔍 Beschaffungsmarketing
Systematische Suche und Bewertung neuer Lieferanten und Produkte:
- Marktbeobachtung: Trends und neue Produkte identifizieren
- Lieferantensuche: Messen, Online-Recherche, Empfehlungen
- Produktprüfung: Qualität, Eignung für Zielgruppe
- Wirtschaftlichkeitsprüfung: Lohnt sich die Aufnahme?
5.1.1 Auswirkungen auf die Sortimentsstruktur durch Beschaffungsmarketing
Eine Neulistung verändert das Sortiment:
- Sortimentsbreite: Neue Warengruppe hinzufügen?
- Sortimentstiefe: Mehr Auswahl in bestehender Warengruppe?
- Verdrängung: Welches Produkt wird dafür ausgelistet?
- Regalfläche: Wo wird das neue Produkt platziert?
5.1.2 Bezugsquellenermittlung bei Neulistung
Verschiedene Wege zur Lieferantensuche:
📱 Online-Recherche
B2B-Plattformen, Lieferantenverzeichnisse, Suchmaschinen
🎪 Fachmessen
Persönlicher Kontakt, Produktpräsentation, Networking
📰 Fachzeitschriften
Anzeigen, Produktneuheiten, Branchennews
🤝 Empfehlungen
Kollegen, Verbandsmitglieder, Geschäftspartner
5.1.3 Wahl der Beschaffungswege
Entscheidung zwischen verschiedenen Bezugsquellen:
- Direktbezug vom Hersteller: Günstig, aber große Mengen
- Großhandel: Flexibler, schneller, aber teurer
- Importeur: Für ausländische Waren
- Online-Großhandel: Bequem, transparente Preise
5.1.4 Entscheidung über Bestellmenge
Bei Neulistungen besonders vorsichtig:
- Kleinere Erstbestellung (Testphase)
- Absatzprognose erstellen
- Mindestbestellmengen des Lieferanten beachten
- Lagerfläche und Kapitalbindung berücksichtigen
5.1.5 Wahl der Bestell- und Lieferzeitpunkte
Wann soll das neue Produkt kommen?
- Saisonalität: Rechtzeitig vor der Saison
- Werbeaktionen: Koordination mit Marketing
- Lieferzeit: Ausreichend Vorlauf einplanen
- Testphase: Zeit für Verkaufspersonal-Schulung
5.1.6 Quantitativer Angebotsvergleich
Vergleich der Angebote nach messbaren Kriterien:
💰 Bezugskalkulation
Ermittlung des tatsächlichen Einstandspreises unter Berücksichtigung aller Kosten und Abzüge:
Schema:
- Listenpreis (Katalogpreis)
- - Rabatt
- = Zieleinkaufspreis
- - Skonto
- = Bareinkaufspreis
- + Bezugskosten (Fracht, Verpackung, Versicherung)
- = Bezugspreis (Einstandspreis)
5.2 Qualitativer Angebotsvergleich
Nicht nur der Preis zählt! Auch qualitative Faktoren sind wichtig:
| Kriterium |
Fragestellung |
| Produktqualität |
Entspricht das Produkt unseren Qualitätsansprüchen? |
| Lieferantenzuverlässigkeit |
Liefert der Lieferant pünktlich und zuverlässig? |
| Service |
Bietet der Lieferant guten Support, Beratung, Kulanz? |
| Nachhaltigkeit |
Werden ökologische und soziale Standards eingehalten? |
| Markenbekanntheit |
Ist das Produkt bei Kunden bekannt und nachgefragt? |
| Innovationskraft |
Entwickelt der Lieferant kontinuierlich neue Produkte? |
5.2.1 Beurteilungsmerkmale für Lieferanten
Systematische Lieferantenbewertung anhand verschiedener Kriterien:
⭐ Lieferantenbewertung
Kriterien für die Bewertung:
- Liefertreue: Werden Liefertermine eingehalten?
- Qualitätstreue: Ist die Qualität konstant hoch?
- Mengentreue: Stimmen gelieferte Mengen?
- Preiswürdigkeit: Faire Preise im Marktvergleich?
- Flexibilität: Reagiert auf Sonderwünsche?
- Kommunikation: Schnelle, klare Kommunikation?
- Reklamationsbearbeitung: Kulante Problemlösung?
5.2.2 Bewertungsverfahren von Lieferanten (Entscheidungsbewertungstabelle)
Scoring-Modell zur objektiven Lieferantenbewertung:
📊 Nutzwertanalyse
Vorgehen:
- Kriterien festlegen (z.B. Preis, Qualität, Service)
- Gewichtung der Kriterien (Summe = 100%)
- Bewertung jedes Lieferanten pro Kriterium (z.B. 1-10 Punkte)
- Berechnung: Punkte × Gewichtung
- Summe aller gewichteten Punkte = Gesamtscore
- Lieferant mit höchstem Score gewinnt
Beispiel:
| Kriterium |
Gewichtung |
Lieferant A |
Lieferant B |
| Preis |
40% |
7 × 0,4 = 2,8 |
9 × 0,4 = 3,6 |
| Qualität |
30% |
9 × 0,3 = 2,7 |
7 × 0,3 = 2,1 |
| Service |
20% |
8 × 0,2 = 1,6 |
6 × 0,2 = 1,2 |
| Liefertreue |
10% |
9 × 0,1 = 0,9 |
8 × 0,1 = 0,8 |
| Gesamt |
100% |
8,0 |
7,7 |
→ Lieferant A wird bevorzugt, da höherer Gesamtscore
6. Planungsinstrumente für den Wareneinkauf
6.1 Planungsinstrument Einkaufs- und Verkaufsdatenanalyse
Die systematische Auswertung von Verkaufsdaten hilft bei der Einkaufsplanung:
📈 Wichtige Kennzahlen
- Absatzmenge: Wie viel wurde verkauft?
- Umsatz: Welcher Erlös wurde erzielt?
- Umschlagshäufigkeit: Wie oft wurde das Lager umgeschlagen?
- Verkaufsrate: Welcher Prozentsatz der Ware wurde verkauft?
- Saisonale Schwankungen: Wann ist die Nachfrage besonders hoch/niedrig?
- Trendanalyse: Steigt oder sinkt die Nachfrage?
Nutzen der Datenanalyse:
- Bedarfsprognose für zukünftige Bestellungen
- Erkennung von Verkaufsschlagern und Ladenhütern
- Optimierung der Bestellmengen
- Reduzierung von Über- und Unterbeständen
- Sortimentsoptimierung
6.2 Planungsinstrument ABC-Analyse
Die ABC-Analyse teilt das Sortiment nach Bedeutung in drei Klassen ein:
🎯 ABC-Klassifizierung
A-Artikel (ca. 20% der Artikel, 80% des Umsatzes):
- Sehr wichtige Artikel mit hohem Umsatz
- Intensive Kontrolle und Planung
- Optimale Verfügbarkeit sicherstellen
- Regelmäßige Bestandsprüfung
- Beispiel: Bestseller, Grundnahrungsmittel
B-Artikel (ca. 30% der Artikel, 15% des Umsatzes):
- Mittlere Bedeutung
- Standardisierte Kontrolle
- Periodische Bestandsprüfung
- Beispiel: Ergänzungssortiment
C-Artikel (ca. 50% der Artikel, 5% des Umsatzes):
- Geringe Bedeutung für Umsatz
- Minimaler Verwaltungsaufwand
- Vereinfachte Bestellverfahren
- Großzügigere Lagerbestände oder Auslistung erwägen
- Beispiel: Nischenprodukte, Spezialitäten
Konsequenzen für die Beschaffung:
- A-Artikel: Häufige Bestellungen, enge Lieferantenbindung, genaue Bedarfsplanung
- B-Artikel: Standardisierte Bestellung, regelmäßige Überprüfung
- C-Artikel: Große Bestellmengen, seltene Bestellung, evtl. Sammelbestellungen
6.3 Planungsinstrument Limitrechnung
Die Limitrechnung legt Obergrenzen für Warenbestellungen fest:
💶 Offene-Posten-Limit (Open-to-Buy)
Berechnung des verfügbaren Einkaufsbudgets:
Formel:
Einkaufslimit = Geplanter Umsatz + Soll-Endbestand - Ist-Anfangsbestand - Bereits bestellte Ware
Beispiel:
- Geplanter Umsatz (Einkaufswert): 50.000 €
- Gewünschter Endbestand: 20.000 €
- Aktueller Lagerbestand: 25.000 €
- Bereits bestellt (noch nicht geliefert): 10.000 €
- Einkaufslimit = 50.000 + 20.000 - 25.000 - 10.000 = 35.000 €
Vorteile der Limitrechnung:
- Vermeidung von Überbeständen
- Bessere Liquiditätsplanung
- Kontrolle der Wareneinkäufe
- Frühwarnsystem bei Budgetüberschreitungen
🎯 Zusammenfassung Lernfeld 6
Du hast umfassendes Wissen über die Warenbeschaffung erworben:
📋 Beschaffungsprozess
Von der Anfrage über das Angebot bis zur Bestellung - der komplette Ablauf
🤝 Kooperationen
Verbundgruppen und Einkaufsgenossenschaften für bessere Konditionen
📝 Kaufverträge
Verschiedene Kaufvertragsarten und ihre rechtlichen Besonderheiten
📊 Planung
Optimale Bestellmengen und Bestellzeitpunkte berechnen
🆕 Neulistung
Neue Produkte ins Sortiment aufnehmen und Lieferanten bewerten
🎯 ABC-Analyse
Sortiment nach Bedeutung klassifizieren und Ressourcen optimal einsetzen
💡 Praxistipp
Erfolgreiche Warenbeschaffung erfordert strategisches Denken, gute Lieferantenbeziehungen und den Einsatz moderner Planungsinstrumente. Nutze Warenwirtschaftssysteme, um Bestellprozesse zu automatisieren und datenbasierte Entscheidungen zu treffen. Eine gute Beschaffung ist die Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg im Einzelhandel!